Zurück aufs Land!

Fotos: Gastrep

Zurück aufs Land? Die Coronakrise, die Lockdowns, aber auch die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, hat viele Großstädter ins Grübeln gebracht: Sollen wir uns das noch länger antun – die horrenden Mieten, die zu kleinen Wohnungen, die Menschenmassen? Sollen wir nicht zurückgehen, wo wir hergekommen sind? Wir haben einen Wirt besucht, der bereits vor elf Jahren genau diesen Weg gegangen ist – vom Szene-Wirt in Schwabing zum Pächter einer Vereinswirtschaft irgendwo in der tiefsten Oberpfalz. Um es vorweg zu nehmen: Jürgen Füssl hat diesen Schritt nie bereut!

Als Großstädter traut man seinen Augen nicht. Vor der Einfahrt zu "dWirtschaft" steht eine große Anzeigentafel, wie man sie aus den Metropolen vor großen Parkhäusern oder Park-and-Ride-Anlagen kennt. Bei unserem Besuch stand da: "Aktuell freie Tische im Gastraum: 23." – Gastro-Paradies Oberpfalz: Sind da freie Plätze in einem Wirtshaus genauso begehrt wie freie Parkplätze in der Großstadt? "Ganz so ist es nun auch wieder nicht", sagt Wirt Jürgen Füssl lachend. "Wir hatten halt das Problem, dass bei Tagungen in unserem Haus meist jeder Teilnehmer einzeln mit dem Auto kommt. Da stehen dann mittags schnell mal 40 oder 50 Autos vor dem Lokal. Und die Leute denken sich, da ist eh' kein Platz frei." Also kam er auf die Idee mit der großen Anzeigentafel, deren Zähler mit dem Kassensystem verbunden ist. Immer wenn an einem Tisch gezahlt wird, wird er als frei gemeldet. Probleme nimmt Jürgen Füssl generell nicht achselzuckend hin, sondern tüftelt an einer Lösung. Wie kann man den Service verbessern und schneller machen, gerade in Zeiten des Fachkräftemangels? Als Lösung hat er sich sein eigenes "Kellner-Ruf-System" einfallen lassen, eine kleine Vorrichtung, die auf jedem Tisch steht. Wenn der Gast einen Wunsch hat, schiebt er einfach den Pfeil nach oben.

Der Biergarten hinter der Gaststätte liegt tiefer als die Küche. Damit die Gerichte aus dem 1. Stock schneller in den Biergarten gelangen und den Servicekräften Laufwege erspart werden, hat Jürgen Füssl eine "Schnitzelgondel" gebaut, mit der die Speisen quasi durch die Luft zu den Gästen segeln. Das ist nicht nur praktisch, sondern eine Attraktion für die Gäste, und zwar nicht nur für die Kleinen. Ein Wirt, der so viele Ideen hat, wäre doch auch in der Großstadt erfolgreich – oder? Genau das war Jürgen Füssl. Seine Bar Namenlos in Schwabing war ein Hit. "Der Laden war ständig voll, kaum dass wir am frühen Abend aufgesperrt haben, und brummte bis spät in die Nacht", erinnert er sich. Aber wie definiert man Erfolg? Trotz der hohen Umsätze ist wegen der horrenden Miete nicht viel übriggeblieben, vor allem in Relation zum Fulltime-Job quasi ohne Freizeit.

4. Juli 2010! An seinen Schicksalstag erinnert sich Jürgen Füssl, als ob es gestern gewesen wäre. Kurz nach 18 Uhr zeigten die ersten Hochrechnungen, dass die Rauchergegner den bayerischen Volksentscheid gewonnen hatten. Füssl griff zum Telefon und sagte dem Vereinsvorsitzenden in Altenstadt nördlich von Weiden zu, dass er das gerade leerstehende Vereinsheim übernehmen wird. Zum 1. August schloss er seine Bar in Schwabing für immer.

"Das Rauchverbot, das sich ja in zahlreichen Varianten über Jahre hinzog bis zum Volksbegehren, war nicht mal das Problem, auch nicht, dass die Gäste zum Rauchen vor die Tür gegangen sind", so Jürgen Füssl. "Das Problem war, dass ich als Wirt für die rauchenden Gäste vor dem Lokal verantwortlich gemacht worden bin – und die lieben Nachbarn, die sich ständig über den Lärm vor dem Lokal beschwerten. Am Schluss kam fast täglich die Polizei vorbei. Unsere Sperrstunde wurde auf 23 Uhr gelegt. So machte das keinen Spaß mehr. Ich hatte einfach keinen Bock mehr auf Großstadt." Aber er wusste, was er künftig wollte: Ein Lokal mit vielen Parkplätzen, ohne Nachbarn und mit einer günstigen Miete.

Den Slogan zurück aufs Land darf man nicht missverstehen. Vor dWirtschaft in Altenstadt rauscht kein Wildbach vorbei, da steht kein Vieh auf der Weide. Das Lokal liegt eher in einer Art Gewerbegebiet und macht von außen eher den Eindruck eines Zweckbaus. Aber die Menschen in der Oberpfalz brauchen auch keine Gasthöfe in unberührter Natur (die haben sie eh'), die brauchen gemütliche Wirtschaften mit einem tüchtigen Wirt.

Jürgen Füssl gefiel der Standort. Er handelte mit dem Sportverein einen langjährigen Mietvertrag zu günstigen Konditionen aus, renovierte das leerstehende Sportheim, investierte rund 100.000 Euro, baute einen Biergarten und machte dWirtschaft zu einem der bekanntesten Betriebe im Landkreis.

Großstadtwirte hergehört!

Bei Fußball-Großereignissen stellt er z. B. eine 6 x 5 Meter große Leinwand auf und bewirtet bis zu 1.700 Gäste. Zu Disco-Partys kommen in der Regel 500 Gäste. Zu laut, zu viel Lärm? In Altenstadt kräht kein Hahn danach. Das einzige bewohnte Gebäude in der näheren Umgebung ist eine Gärtnerei. Klar, dass Füssl dort den Blumenschmuck für Hochzeiten, Beerdigungen, etc. einkauft.

So Großstadtwirte, jetzt mal herhören. Das werdet Ihr nicht glauben. O-Ton Füssl: "Eines Tages haben mir die Nachbarn erzählt: Ihr könnt ruhig Feste feiern. Wir haben uns extra Schallschutzfenster einbauen lassen, damit uns der Lärm nicht stört!"

Wem das alles zu schön klingt als wahr zu sein, sollte bedenken: Bei unserer Geschichte schlug nicht ein von den Einheimischen kritisch beäugter Großstadtwirt in die Oberpfalz auf. Jürgen Füssl ist hier kein Fremder, er ist im Landkreis geboren und aufgewachsen. Aber er hat seine Kochlehre schon mit dem Vorsatz gemacht, der Heimat Tschüss zu sagen und in die große weite Gastro-Welt zu gehen. Bei der Bundeswehr ist er sieben Jahre geblieben und hat sich zum Küchenleiter hochgearbeitet, darunter sechs Monate lang im Auslandseinsatz im Kosovo. Über diese Zeit hat Füssl ein lesenswertes Buch geschrieben ("Mein Buch"), das im Wirtshaus-Online-Shop erhältlich ist.

Nach dem Bund ging er auf die Hotelfachschule Bad Wörishofen, machte die Prüfung zum Staatl. gepr. Hotelbetriebswirt und arbeitete als Koch in England und Frankreich. Warum er danach Kneipenwirt wurde? Jürgen Füssl wollte wissen, ob er es drauf hat! "Auf der Hotelfachschule sagte mal ein Referent: Das heißeste Gastro-Pflaster in Bayern ist Schwabing. Wer es dort schafft, schafft es überall", erzählt Füssl. "Das hab' ich mir gemerkt, das hat mich gereizt."

Und all diese Erfahrungen haben bei der Rückkehr in die Heimat sicher nicht geschadet. Vereinsheime gelten unter Wirten nicht unbedingt als erste Wahl. Ärger mit dem Vorstand und den Mitgliedern, die alles besser wissen, ist nicht selten vorprogrammiert. Klare Kante zeigen kann da nicht schaden. "Ich hab' gleich zu Anfang deutlich gemacht: Ich bin hier der Chef. Ich bin 38 Jahre alt, kenne das Geschäft, lasst mich nur machen", erzählt Jürgen Füssl. Was aber nicht heißt, dass er nicht auf die Mitglieder zugegangen ist. Nach dem Training eine Currywurst oder ein Schnitzel zu günstigen Preisen? Daran änderte er nichts.

Sein Kerngeschäft sind aber Familienfeiern aller Art, Hochzeiten, Geburtstage, Taufen, Beerdigungen, etc. Dazu hat Füssl das Tagungsgeschäft angekurbelt und beim Mittagstisch am Sonntag mit eigener "Bratenkarte" ist ohne Reservierung meist kein Platz zu bekommen. So ist die dWirtschaft zu einer Heimat für die Menschen im Landkreis geworden, in der sie ihre Feste feiern und gesellig zusammenkommen – und zu der es immer weniger Alternativen gibt.

"Seit ich zurück bin, also in den vergangenen elf Jahren, haben im Umkreis von 15 Kilometern acht renommierte Traditionswirtschaften für immer zugesperrt", berichtet Füssl. Ja, das wirkt sich nicht zuletzt auf seine gesellschaftliche Stellung aus. Mit den Behörden kommt er in aller Regel gut zurecht, auch bei den Genehmigungen für Feste. "Und wenn es mal Ärger gibt, dann ruf' ich halt den Landrat an", meint Füssl.

In der Oberpfalz gibt es noch Handwerker

Gleich noch ein schönes Beispiel zum Thema Standortvorteil: In der Oberpfalz gibt es noch Handwerker. Und die kommen sogar, wenn man sie braucht. „Die Anonymität der Großstadt mag ihre Vorteile haben", so Füssl. „Aber hier kennt man sich halt. Wenn ein Handwerker Pfusch macht oder einen Kunden übers Ohr haut, da spricht sich das sofort herum und der Betreffende kann dicht machen. Deshalb bekommt man hier für sein Geld eine ordentliche Arbeit."

Höchste Zeit für einen Rundgang durch dWirtschaft: Die gemütliche Gaststube bietet 70 Plätze, im daran anschließenden Nebenzimmer, das auch für kleine Veranstaltungen genutzt wird, finden 30 Gäste Platz. Auf diesem Stockwerk ist auch die Hauptküche. Im Untergeschoss gibt es zwei Säle (mit 60 und 120 Plätzen), ideal für Tagungen, eine kleine Küche und eine Kegelbahn. Im Biergarten ist Platz für rund 250 Gäste. Als wegen Corona neue Abstandregeln galten, konnte Füssl bei Bedarf auch die angrenzende Tennishalle für Tagungen nutzen. Das Büro und die Wohnung sind im Obergeschoss. Die Miete liegt ungefähr im Bereich dessen, was Füssl für seine 75 qm Bar in Schwabing bezahlt hat.

Die Speisekarte ist bunt gemischt und bietet nicht nur traditionelle Gerichte. Ohne „Vegan Asia Thai Gemüse" oder „Veggie Burger" geht es auch in der mittleren Oberpfalz nicht mehr. Die Handschrift des Wirts zeigt sich aber eher bei Spezialitäten wie groben Wildbratwürsten oder Rehbraten. Weil die Gäste heutzutage ja gerne wissen wollen, wo die Zutaten herkommen. Jürgen Füssl hat einen Jagdschein und geht tatsächlich auf die Jagd. Wo gibt es das noch – Wildgerichte nach dem Motto: Vom Wirt selbst geschossen und zubereitet?

Um sein neues Lokal bekannt zu machen und auf mehrere Standbeine zu stellen, hat sich Jürgen Füssl in den ersten Jahren viel einfallen lassen, etwa einen Catering-Service und die Belieferung von Schulen mit Essen. „Wir haben bis zu 250 Schulkinder am Tag bekocht", so der umtriebige Wirt. Das war bis zu Corona eine verlässliche Umsatzquelle. Diesen Geschäftszweig hat Füssl im September beendet. Bei den Öffnungszeiten führte er einen zweiten Ruhetag ein und hat seitdem von Mittwoch bis Sonntag geöffnet. Das Geschäft läuft so gut, dass er nicht mehr alles machen muss. Lieber konzentriert er sich auf die lukrativen Angebote. Feiern ab 25 Personen sind auf Anfrage auch außerhalb der Öffnungszeiten jederzeit möglich.

"Ich kämpfe um jeden Mitarbeiter"

Nicht alles auf dem Land ist anders als in der Großstadt. Das Problem, Mitarbeiter zu finden, kennt inzwischen auch Füssl. In der Region rund um Weiden gibt es viele interessante Jobs. "Spätestens während des Lockdowns haben viele Gastro-Mitarbeiter begriffen, dass Firmen und Behörden Arbeitsplätze mit guter Bezahlung und geregelten Arbeitszeiten bieten", so Füssl. "Da ist es schwer mitzuhalten, auch wenn wir z. B. faire Löhne zahlen und 12 Euro Mindestlohn und mehr längst umgesetzt haben."

Der Wirt hat einen Blick dafür, ob sich neue Mitarbeiter für die Gastro eignen. "Wer es nicht geschafft hat, das Bier unfallfrei zum Gast zu bringen, von dem haben wir uns schnell wieder getrennt", erinnert er sich. "Heute kämpfe ich um jeden Mitarbeiter und geb' ihm ganz viel Zeit zur Einarbeitung." Jürgen Füssl bringt das so auf den Punkt: "Heute ist es schwerer, neue Mitarbeiter zu finden als neue Gäste."

www.dwirtschaft.de

Der Artikel ist in der Ausgabe 10/2021 des Gastronomie-Report erschienen.